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Italienisches Leben in der Kirchgemeinde Erlöser

„Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen“, schrieb Max Frisch 1965. Im Zuge der grossen Zuwanderung aus Italien und Spanien in den 60-ger und 70-ger Jahren des letzten Jahrhunderts, waren es vor allem Italiener, welche unsere kulturelle Landschaft nachhaltig prägten.

Die Schweiz hatte „den Fünfer und das Weggli“

Das damalige Migrationsgesetz war nicht etwa auf Integration ausgelegt, sondern vielmehr auf Rotation. Dies hatte zur Folge, dass, je nach wirtschaftlicher Lage, Arbeitskräfte für elf Monate ins Land strömten und danach, laut Gesetz, die Schweiz wieder verlassen mussten. Dies war für viele italienische Familien sehr belastend. Männer und Frauen, die einen Arbeitsvertrag hatten, durften ihre Kinder nicht mitnehmen. Sie wurden meist bei Angehörigen zurückgelassen. Falls es keine Angehörigen mehr gab, wurden die Kinder illegal ins Land geschmuggelt und mussten sich daheim verstecken. Man geht von 10’000 bis 15’000 Kindern aus, die damals im Verborgenen lebten.

Die Schweiz hatte so „den Fünfer und das Weggli“. Viele Arbeiter wurden in bescheidenen Baracken untergebracht, am Rande der Stadtzentren, Sozialleistungen gab es keine. So blieben die Risiken und die Kosten für die Arbeitgeber dementsprechend niedrig.

Zu laut, zu frech, zu fremdländisch

Pizza, Pasta, Dolce Vita, alles, was wir an Italien heute so lieben, war damals ungewohnt, unbequem und stossend. Zu laut, zu frech, zu fremdländisch seien sie! Und zu viele! Die in den siebziger Jahren grassierende Xenophobie gipfelte 1970 in der Schwarzenbach-Initiative. Die Volksinitiative wurde dann zum Glück abgelehnt. Sonst hätte dies die Ausschaffung von 300’000 Gastarbeitern zur Folge gehabt.

Auch bei uns in der Kirchgemeinde Erlöser gibt es Italiener*innen, die von dieser Zeit viel zu berichten haben. Ich hatte das Vergnügen, mich mit einigen von ihnen zu unterhalten.

Ein kleines Zimmer ohne Bad

Viele Jahre, berichtete mir ein Ehepaar, hausten sie in einem Zimmer ohne Küche, Bad und WC. Ein kleines „Öfeli“ diente als Kochstelle. Viel mussten sie arbeiten und kritisch beäugt wurden sie von der Nachbarschaft. Immer wieder wurde heftig an die Tür geklopft, um darauf hinzuweisen, dass es wieder mal viel zu laut sei.

Ganz anders, berichtete mir eine Signora, waren ihre ersten Erfahrungen in der Schweiz, nämlich durchaus positiv. Immer konnte sie ihre Kinder bei der Schweizer Hausbesitzerin lassen, als sie zur Arbeit fuhr. Nett und hilfsbereit waren die meisten.

Eine andere Stimme wiederum war als Kind eigentlich illegal hier. Sie durfte jedoch, dank netten Mitmenschen zur Schule. Die Eltern arbeiteten Schicht und mussten sich tagsüber ausruhen.

Die Geschichten sind so unterschiedlich wie die Menschen, die sie erzählen. Was sie verbindet, sind Entbehrungen, harte Arbeit und manchmal auch Heimweh.

Wir schätzen uns sehr glücklich, dass wir eine grosse italienische Gemeinschaft bei uns  in der Kirchgemeinde haben. Sie sind auf allen Ebenen eine Bereicherung.

 

Ursina Bon

 

 

Bildquelle:Comet Photo/ETH-Bildarchiv
Italienische Gastarbeiter reisen 1968 zu den Wahlen nach Italien zurück. Die Aufnahme wurde im Zürich HB gemacht.

Pfarrei Erlöser Zürich