Zurück zur Übersicht

Die Kraft der Liebe

Der Monat Mai ist Maria gewidmet. Dies nehme ich zum Anlass über die Weiblichkeit zu schreiben. Ich verbinde Weiblichkeit mit Güte, Wärme, Heimat und Liebe.

Theologen haben sich sehr selten zum Thema Weiblichkeit geäußert. Der große, 1955 verstorbene Theologe und Prister, Pierre Teilhard de Chardin drückte sich zum Thema Weiblichkeit äusserst mutig aus, indem er sagte: „Nichts hat sich in mir entwickelt, es sei denn unter dem Blick und dem Einfluss einer Frau“ (Das Herz der Materie, 1950). Was die Welt zusammenhält – meint er, ist eigentlich das Ewig-Weibliche. In ihm offenbart sich Gottes Schöpferkraft, die Liebe, am deutlichsten. Wir haben nur dann eine Zukunft – deutet er an, wenn wir dem Ewig-Weiblichen in uns eine Chance geben.

Vermutlich hätte die christlich geprägte abendländische Kultur einen anderen Charakter angenommen, wenn sie mehr von der Botschaft Christi und von der Güte, Milde und Liebe Gottes getragen worden wäre und dem Ewig-Weiblichen, der göttlichen Liebe, in Frau und Mann mehr Raum gegeben hätte!

Alle bahnbrechenden positiven Änderungen können nur durch die Erfahrung von Liebe gewonnen werden. Die Liebe ist eine strahlende Gestalt, die das Herz, wie eine absolute Macht durchdringt; sie ist wie eine Spur der Lebensachse.

Spätestens beim Betrachten der Natur, dem Gesang der Vögel und ihrem Federkleid, dem Summen der Insekten, der unermüdlichen Entfaltung der Blumen, dem unwiderstehliche Schaffen der Zellen, versteht jeder, dass all dies der einzigartige Strahl der Liebe ist, durch die Liebe wird alles ausgelöst und zum Schwingen gebracht.

Die Liebe lehrt, dass wir manchmal Wunder bewirken können; wir können fast wie Gott sein: Hände ausstrecken und Dinge schaffen, die bislang nicht da waren; wir können aus Klängen und Worten wunderbare Dinge bauen, Sätze und Lieder voll Sinn, Trost und Güte. Wir können Gott im Herzen tragen, und wenn wir ihn verinnerlicht haben, kann er aus unseren Augen und aus unseren Worten in die Welt der Menschen schauen und auch zu denen reden, die ihn nicht kennen.

Die Liebe hat mich gelehrt, dass alle Dinge auf Erden schön sind oder schön sein können, wenn ein liebender Mensch sie betrachtet. Das Entdecken und Festhalten dieser Liebe bedeutet ein hohes Glück. Von liebevollen Menschen lernt man: Alle Tage rauscht die Fülle der Lebenskraft an uns vorüber, strahlt das Licht, lacht die Freude. Jeder Tag bietet so viel Liebevolles. Manchmal trinken wir uns daran satt, manchmal sind wir müde und mögen nichts davon wissen; immer aber umgibt uns ein Überfluss der Liebe. Das Herrliche an ihr ist, dass sie unverdient kommt und niemals käuflich ist; sie ist frei und ein Gottesgeschenk für jedermann, wie der wehende Duft der Lindenblüte (Hermann Hesse). Wenn man nur von allem Schönen so einen Beutel voll aufbewahren und für bedürftige Zeiten aufsparen könnte!

Man spricht oft über den Fortschritt. Der Tag wird kommen, an dem wahrer Fortschritt erlebbar wird in dem wir die Energien der Liebe einfangen. Dann hat der Mensch zum zweiten Mal in der Weltgeschichte das „Feuer“ entdeckt.

Der wahre Fortschritt vollzieht sich aber nicht in der Masse, sondern in einer kleinen Minderheit. Überall wo sie „Macht“ erlangt, erscheint das Göttliche für einen Augenblick auf der Erde. Sicher, die Aufgabe lautet nicht die un-korrigierbare Welt zu belehren, sondern immer wieder eine liebende Minderheit zu bilden um das bedrohte kleine Reich Gottes nicht aussterben zu lassen. Wir wollen das, was an ihr erfreulich ist und sei es nur der Himmel mit seinem zauberhaften Gewölk, loben und preisen, solange wir da sind.

Wir sollten versuchen an jedem neuen Tag das Liebensangebot neu anzunehmen.

 

Pfarrei Erlöser Zürich