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Leben im Hier und Jetzt

Wenn ich über Schätze nachdenke, fallen mir weder Geld noch Schmuck ein. Vielmehr Schönes, Zartes und Liebenswertes. Mit einem Schatz verbinde ich sehr viele liebevolle Personen, die mein Leben bereichert haben, die ich nie verlieren will. Sie sind meine Schätze, die mich dazu gebracht haben, zu mir selber zu finden. All die hübschen Ruhepunkte, Glücksinseln und Paradiese, die mir das Leben schenkte und deren Zauber ich geniessen durfte, sind nur deswegen meine Schätze, weil sie ein konkretes Gesicht haben.

Jeder Mensch ist auf der Suche nach Schätzen. Man verbindet mit Schatz Glück und Heil. Manchmal aber verliert man den Weg und weiss nicht so ganz genau wo die wahren Schätze liegen. Man stellt eine falsche Hierarchie der Schätze auf. Oft wird vergessen, dass auf der Pyramide der Schätze, ganz oben, immer der Mensch steht.

Die Erfüllung des Daseins

Ich habe lange gebraucht bis ich eingesehen habe, dass ich Schätze nicht ausserhalb meiner Welt, egal wie klein sie sein mag, suchen soll. Eigentlich beginnt jede Schatzsuche mit Selbsteinschätzung. Einen grossen Schatz gibt es nur an einem einzigen Ort auf dieser Welt. Ich nenne ihn die Erfüllung des Daseins. Dieser Schatz befindet sich genau dort, wo man steht. Dies ist eine alte Weisheit. Die meisten von uns erlangen nur in seltenen Augenblicken das vollständige Dasein; wenige verstehen, dass wir am wahren Dasein nicht vorbei leben dürfen. Gerade dabei scheitern viele. Ein vollkommenes Dasein zu erlangen ist schwierig und es ist uns schmerzlich bewusst. Ständig bemühen wir uns, diese Lücke zu füllen. Irgendwo, in irgendeinem Bezirk der Welt, nur nicht da, wo wir stehen; da, wo wir hingestellt worden sind – gerade da und nirgendwo anders ist dieser Schatz zu finden. In der Welt, die mir schicksalhaft zugeteilt worden ist, die mir täglich begegnet und mich herausfordert. Hier ist meine wesentliche Aufgabe und die Erfüllung des Daseins, das mir offensteht. Viele denken, dass die Bahnen des Himmels heller seien als die Strassen der Heimatstadt. Doch, denke ich, ist es nicht so, dass die Strassen der Heimat heller sein können als alle Bahnen des Himmels?

Unterm Herd unseres Hauses ist unser Schatz vergraben

Gewiss, auch bei aller Macht über die Erde würden wir das erfüllte Dasein auch dann nicht erlangen, wenn wir unsere Beziehungen zur lebendigen Nähe nicht wahrnehmen. Und auch wenn wir alle Geheimnisse der Welt kennen würden, hätten wir nicht mehr Anteil am wahren Dasein, als wenn wir im Gang unseres Alltags die Wege des Glücks entdecken. Unterm Herd unseres Hauses ist unser Schatz vergraben – schrieb Martin Buber. Die Menschen, mit denen wir leben oder zusammentreffen; der Boden, den wir bebauen; die Geräte, derer wir uns bedienen, alles könnte unser Schatz sein. Wertvoll werden diese Dinge aber nur dann, wenn ich das Schöne, Heilige und Wahre aus meinem Inneren auf sie hinausprojiziere. Alles birgt eine heimliche Kraft, die auf uns angewiesen ist, um zu ihrer reinen Gestalt, zu ihrer Vollendung zu gelangen, um Schatz zu werden. Vernachlässigen wir diese uns zugestellten Lebensprovokationen, sind wir nur auf die jeweiligen Zwecke bedacht, ohne eine echte Beziehung zu den Menschen und Dingen aufzubauen. So versäumen wir das wahre, erfüllte Dasein.

Gottes Einwohnung

Manche Religionen sprechen unserem Aufenthalt auf Erden den Charakter des wahren Lebens ab. Entweder lehren sie, dass alles, was uns hier begegnet, nur Schein sei, hinter den wir zu dringen haben; oder, dass es nur ein Vorhof zur wahren Welt sei, den wir zu durchlaufen haben. Manche „religiöse“ Menschen haben vielleicht nie richtig gelernt die kleinen Schönheiten des Lebens zu schätzen; haben vergessen ihren Lebenspartner und ihr Kind „Schatz“ zu nennen. Ein richtig verstandenes christliches Sein meint: Was ein Mensch jetzt und hier tut, ist nicht weniger wichtig und wahr, als das Leben der kommenden Welt. Es ist falsch zu denken, dass diese und jene Welt unterschiedlich wären, voneinander abgeschnitten. Sie sind in Wahrheit „eins“ und sollen in aller Wirklichkeit „eins“ werden. Der Mensch bekommt die Aufgabe, diese Welt zu seiner eigenen zu machen und darin Schätze zu finden. Wo wir wahre Schätze entdecken, dort meldet sich auch Gott. Gott will durch den Menschen zu seiner Welt kommen. Dies ist das Mysterium unseres Daseins, unsere Chance. Man kann Ihn aber nur da hereinlassen, wo man wirklich steht, wo man sein wahres Leben lebt. Pflegen wir einen heiligen Umgang mit der uns anvertrauten Welt, dann stiften wir an diesem, unserem Ort eine Stätte für Gottes Einwohnung.

Pfarrei Erlöser Zürich