Pfarrer Liviu wünscht der Gemeinde mit ermutigenden Gedanken ein frohes Weihnachtsfest. Das Jahr 2020 wird ganz gewiss wegen der Pandemie in die Geschichte eingehen. Der Corona-Virus und die damit in Zusammenhang stehenden Massnahmen, bzw. Einschränkungen prägen unsere Lebensführung, unser Verhalten, und werden sicher langwirkend uns alle beeinflussen, was die zwischenmenschlichen Beziehungen, und auch unseren psychischen Haushalt angeht. Sie zeigten auf wie wackelig unsere bislang als stabil gedachte gesellschaftlichen Strukturen sind, wie Gesundheitswesen, soziale Versicherungen etc. Vor allem aber: wie zerbrechlich menschliche Existenz sein kann. Gerade an diesem Punkt wird in diesem Jahr die Grundbotschaft von Weihnachten sehr bedeutend.
Der Weg vom kleinen „Ich“ zu sich selbst
Carl Gustav Jung meinte, dass die Gottesgeburt im Menschen das Ziel der menschlichen Selbstwerdung hat. Wenn Gott im Menschen geboren wird, dann kommt der Mensch von dem kleinen „Ich“ weg zu seinem eigentlichen Wesen, zum Selbst. Die Gottesgeburt in uns verwandelt den ganzen Menschen. Mensch sein in unserer „eigenen“ Welt, in die wir hineingeboren sind, und menschlich in ihr handeln, ist mit Seiner Geburt die Botschaft, Bitte und Aufforderung des Gottessohnes an uns.
Was ist der Mensch? Wer sind wir selber? – letztlich münden darin alle Fragen nach Sinn und Glück. Der Mensch ist, was wir selber sind – scheint darauf die gerechte Antwort zu sein. Das, was jede und jeden von uns zu etwas ganz Persönlichem und Einmaligem macht – das bin ich, und bist du.
Wie gut kennen Sie sich?
Nichts ist uns vertrauter und bekannter als wir uns selbst – denken wir. Und dennoch tauchen immer wieder, ja, mit anderen Nuancen, die wiederkehrende Fragestellungen: Bin ich wirklich so, wie ich es selber gerne sein möchte? Warum ist mein Leben gerade so verlaufen und nicht anders? Warum gibt es in meinem Leben manche unbehelligte Schattenecken und gerate ich in Situationen, die ich eigentlich gerne vermeiden würde? Wie kann es sein, dass ich mir auch nach 49 Jahren manchmal als „fremd“ vorkomme?
Ich denke, der Mensch ist sich selber gleichzeitig vertraut und unvertraut; er steht in Übereinstimmung mit sich selbst und ist sich doch ein Stück weit fremd. Ich bin mir zugleich nahe und entfernt. Ich erlebe mit mir selbst innigste Gemeinschaft und ebenfalls lähmende Einsamkeit. Was dabei konstant ist, ist die Sehnsucht ganz Mensch, ganz sich selbst zu werden. Unerfüllte Lebenslage, die darauf zeigt, dass ich das allein aus mir heraus nicht erreichen kann.
Mit Jesus wird Gott Mensch
Kern theologischen Denkens ist der Satz: Gott ist Mensch geworden, hinuntergestiegen in unsere menschliche Natur (kenosis) um den Menschen aufzurichten und zu vergöttlichen (theiosis). Das verkündet das Fest der Menschwerdung. Die weihnachtliche Botschaft lautet: In Jesus ist Gott selber ganz Mensch geworden, damit unser Menschsein ganz gelingen kann. Das geschieht allerdings auf eine Weise, die unsere menschlichen Horizonte aufsprengt. Mit Jesus wird Gott Mensch, um all das zu überwinden, was dunkel und verfehlt in unserem Leben ist. Mit Jesus wird Gott Mensch, um uns Menschen als seinesgleichen anzunehmen und zu einer Vollendung zu führen, die alles übersteigt, was wir uns vorstellen können.
So unendlich groß denkt der Allmächtige den Menschen. Er muss für Ihn so kostbar sein, dass Er sich zu dem macht, was wir Menschen sind und immer mehr und besser sein möchten. Gottes Menschwerdung ermöglicht es uns, dass wir selber ganz Mensch werden können, dass wir im Prozess unserer Menschwerdung nicht ins Stottern kommen, trotz Begrenzungen, Versagen, Brüchen und Abgründen.
So will ich an Weihnachten auf mich selbst schauen und dabei neu bedenken, welch wunderbare Möglichkeiten in meinem Inneren liegen. Mensch kann ich immer wieder sein. Nichts auf der Welt kann mich daran hindern. So will ich auch andere Menschen, durch die von mir zu bietende Geborgenheit, Zusage, Annahme, Wärme, Heimat … ermutigen, aufrichten und bestätigen.
So lasst uns Weihnachten jedes Jahr neu feiern und nach dem Mensch-Sein streben.
Gesegnete und mit viel Menschsein gefüllte Weihnachtstage!
Liviu