Bild Kirche Erlöser aussen
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Wenn die Steine reden, eine Osterbotschaft

Pfarrer Liviu beschreibt in seinem Text das Dasein unseres Kirchturms. Was sieht er, was hört er. Wir reisen  zurück ins Bergwerk, wo alles begann und der Stein zu dem wurde, was er heute ist: Ein Kirchturm in Zürich Riesbach.

Die Glocken läuten. Meine Schritte gleiche ich den Glockenschlägen an. Mit einem Buch von Peter Berger in der Hand: „Auf den Spuren der Engel“. Ihre Spuren suche ich auf dem Gesicht der Stadt. Ich höre, wie sie Atem holt, lebt, schwitzt. Ein gewohntes Bild, da lebe ich auch. Ein geometrisches Durcheinander von Häusern, ineinander hängende Dächer, kurvige Strassen.

Der Turm wirkt wie ein auf seinen Hirtenstab anlehnender Hirte

Meine Augen bleiben an einem Punkt hängen: an unserer Erlöserkirche. Unsere Vorfahren haben sie gebaut. Ihr Turm wirkt wie ein auf seinen Hirtenstab anlehnender Hirte. Hütet das Quartier und schreibt auf die Himmelsgewölbe: „Wer ist wie Gott?!“ Täglich flüstert er in die unendliche Ferne seine Botschaft hinein: „Der Erhabene stellte mich hierher, dass ich als Wegweiser gelte.“ – Turm-Schicksal.

Dieser Turm sieht die Menschen alle gleich. Selten kann er aber in ihr Gesicht schauen, selten gibt es Menschen, die nach oben schauen, und wenn schon, dann beobachten sie die reisenden Wolken, und werden von der Sonne geblendet. Der Turm kennt den Menschen gut: Dieses kleine Wesen kann Wunder bewirken, es hat ihn sogar gebaut.

Vom Fuss des Turmes sieht aber alles anders aus. Obwohl sich dabei gar nichts veränderte, nur meine Sichtperspektive. Da wirken auch die Menschen anders: sie sind unterschiedlich, gross und klein, arm und reich, glücklich und betrübt. Und ich sehe so viel Unwahrheit, billige Schaufenster, Eitelkeit, Interessenlosigkeit, Distanz…
Ah – seufze ich, wenn der Turm seine Weisheit vermitteln könnte! Ja, worüber redet er? Über ruhmreiche Vergangenheit, heilige Gefühle, Gebet… Aber auch über Hinterhältigkeit, Verrat, Bosheit. Er berichtet über Freiheit, Ehre… und auch über Feigheit und Mutlosigkeit. Er sah weinende Mütter, lachende Kinder, heilige Männer und rücksichtslose Händler. Er hörte Gotteslob und Gotteslästerung.…

Ich höre seine Stimme und ein ungeduldiger Drang übermächtigt mich: Enträtsele sein Geheimnis! In ihm spricht die Geschichte deines Volkes, deine Vorfahren ziehen dabei in Prozession, sie wollen dir ihre Botschaft überbringen: Geh und rede! Soll ich Engelsschicksal auf mich nehmen?!

Ein Kunstwerk entsteht

Ich suche die Heimat des Steines, woraus die Kirche entstand: Bergwerke, unendliche Steinwände… Hart, schwer, fest, grob – und doch, gerade deswegen für die Ewigkeit bestimmt. Wie die Menschen, die von den Steinen gelernt haben Ja und Nein auszusprechen. Menschen, die wie die Steine die Wärme aufnehmen, und deren Blick in Flammen aufgeht! Menschen, die als feste Orientierungspunkte stehen! Die Heimat der Steine gibt immer wieder Steinblöcke frei. Fast hört man dabei die Hammerschläge, wie die Keile Steinbrocken abspalten und neue Grund-, Mauer- und Ecksteine entstehen.

Aber was nützt all das, wenn ich dabei nur als Beobachter bleibe? Wieviel mehr ist es, wenn die herumliegenden Steinbrocken, im Schatten liegenden Steinmonster, mein Handzeichen auf sich tragen. Wenn ich sie aus der Formlosigkeit befreit habe. Wie ein Schöpfer, der die Steinwand berührt. Schon in seinem Blick tasten seine Finger den Stein an, er hört den Pulsschlag des Steines, seine Finger wollen ihn befreien, der gefangenen Form zur Geburt zu verhelfen. Ein Kunstwerk entsteht. Schön wird es sein: alle werden es bewundern; es wird zum Turm, der über das Leben, über die Kraft der Schöpfung spricht! Unendliche Freude… Ein göttliches Gefühl, wenn jemand eine Statue, eine Kirche, das Leben aus der Steinwand befreien kann. Und nur der Mensch, der dies zu seiner Lebensaufgabe gemacht hatte, kann bleibendes Zeichen hinter sich lassen, was auch kommende Generationen anspricht und begeistert: da lebte ein Mensch, der Botschafter war; da hatte ein Mensch Engelsschicksal und ist Schöpfer geworden. Er hat seine Spuren nicht auf die Wasseroberfläche gesetzt, er schaffte Bleibendes.

Die Botschaft des Steins

Ursprünglich verstand ein Jeder die Botschaft des Steines: dass man leben und zum Leben helfen soll, im Sonnenlicht, im Sturm, im Sommer und im Winter. Prüfstein dieser Botschaft ist aber der Glaube daran, dass ich selber ein Befreiter, ein Kunstwerk, vielleicht ein Turm bin. Ich bin Lebensträger und -schöpfer. Und falls ich blind oder taubstumm in der Welt herumirre, dann kommt das Leben, das Engelswort in mir zum Stottern. Doch der Stein verkündet seine Botschaft auch dann, wenn er in meinem Leben zum Kieselstein oder zum sumpfigen Sand geworden ist. Der Stein gibt nie auf: für mich bedeutungslos, begleitet mich doch, als Weg, Hausgrund und Grabdecke.

Wer aber seine Botschaft verstanden hat, gleicht einem Menschen, der dem Turm entlang zum Reich Gottes gelangt. Der nicht auf Sand, sondern auf Felsen gebaut hat. Er kennt die Botschaft vergangener Zeiten und behütet sie. Er ist wie ein Mensch, der auf der Bergspitze steht, der Weitsicht hat und dessen Wert gerade sein Sehhorizont und die daraus wachsende Verantwortung leiht. In solch einem Menschen geht die Morgenröte in Flammen auf.

All das erzählen nun die Steine. Das sind Worte des Lebens, des Wachsen-Wollens. Engelsworte. Hörende Ohren, sehende Augen – möchte ich haben! Ich will diese Botschaft wie die Propheten weitertragen! Gefühle und Lebenskraft haben mir die Steine vermittelt, und dabei habe ich kaum gemerkt, dass ich zu beten begann. Die Glocken läuten wieder. Und mit dem Glockenschlag bete ich, dass ich lebendiger Stein werde und mein Turm-Schicksal verstehe.

Liviu Jitianu

Pfarrei Erlöser Zürich